Zugleich wahrnehmen – von Camila McHugh

Zugleich wahrnehmen

von Camila McHugh

zur Ausstellung „Grids of Sensation“ bei Knust Kunz Gallery Editions, München 2023

 

Franziska Goes‘ Malerei hat etwas Synästhetisches. Synästhesie beschreibt den seltenen Zustand, der eintritt, wenn man einen Sinn durch einen anderen wahrnimmt – beispielsweise Farben mit Klängen verbindet oder Geschmäcker mit Worten. Oder vielleicht Raster mit Empfindungen. Der Begriff hat griechische Wurzeln, die sich buchstäblich als „zugleich wahrnehmen“ übersetzen lassen, was auch eine passende Art und Weise ist, um die vielfältigen Gegenüberstellungen zu beschreiben, aus denen Goes‘ Werk besteht. Sie positioniert die Bildfläche als eine Gelegenheit, wahrzunehmen, wie ein Spektrum an Strukturen, Formen und Farben interagiert. Wenn diese Formen zusammenfließen, um ein Komposit aus disparaten Teilen zu bilden, ergibt sich eine spielerische Reibung zwischen Fragment und Ganzem. In Arbeiten wie warmer Schatten / Our Tools Shape Us, 2022, puzzeln sich eine Anordnung unterschiedlicher Formen – ein kleines rechteckiges Band aus Gelb und Blau mit sichtbarem Pinselstrich, ein scharfkantiger Streifen aus rötlichem Pink, der mit sorgfältiger Flachheit aufgetragen ist, amorphe Abschnitte aus gesprenkelten Mustern, mäandernde Linien, die sich mit all dem überlappen – in eine ganz eigenwillige Konstellation. Jeder Aspekt des Bildes entsteht aus einer einmaligen Kombination aus Technik, Farbe und Form, ist aber auch mit anderen Dimensionen des Gemäldes verbunden, so dass jeder Bereich im Dialog mit den anderen wahrgenommen wird. Manchmal vermitteln Goes‘ Arbeiten ein Gefühl von Kontinenten, die über einem uralten Meer aufeinandertreffen. Niemand ist eine Insel.

Während das visuelle Vokabular der in Berlin lebenden Künstlerin entschieden abstrakt ist, sind dennoch durchgängig Verwandtschaften mit der Welt der Natur und der Technologie zu spüren. Zu Anfang ihrer Karriere malte sie Landschaften, und Spuren dieser Empfindsamkeit treten als die Weite eines Horizonts, die Neigung eines Berges oder das dichte Laub eines Waldes wie formale Erinnerungen in den Vordergrund. Dies sind keine abstrahierten Landschaften, sondern vielmehr abstrakte Formen, die die Möglichkeit einer Landschaft in der losen Verbindung andeuten, in der eine Wolke einem Tier ähnelt und ein schimmernder Blick im Mond zu finden ist. Eine Reflektion über Technologie ist auch in diesen hyperflachen Acryloberflächen zu spüren, da Goes häufig eine bildschirmähnliche Unschärfe wie auch mehrfarbige Pixel einsetzt. Während sie gänzlich dem Medium der Malerei verpflichtet bleibt, integriert sie eine Art digitales Imaginieren in ihren Prozess, indem sie ihre Skizzen oder Fotos ihrer Gemälde in einem Programm manipuliert, das es ihr ermöglicht, neue Konfigurationen auszuprobieren.

Ihre Praxis ist andererseits ausgesprochen haptisch, da sie ein breites Spektrum an Pinseln, Rollen und Werkzeugen verwendet, um ein breites Medley an Strukturen in ihren Arbeiten zu produzieren. Es ist bezeichnend, dass viele von Goes‘ Titeln durch einen Schrägstrich geteilt sind – In the Woods / Feeling Magenta, plus minus / blau gelb oder botanische Ordnung / bräunliche Laubfarbe – da es häufig die Spannung von scheinbaren Gegensätzen wie denen zwischen Natur und Technologie, kontrastierenden Farben oder dissonanten Formen ist, die ihre Praxis auszeichnet. Die Vorstellung eines Rasters der Empfindung ist eine weitere solche Dialektik.

Sie ist sich zudem sehr genau der großen Freiheit bewusst, die mit Begrenzung einhergehen kann, ein scheinbares Paradox, auf das sie zugreift, indem sie ihre Farben für ein Bild (oder eine Gruppe von Bildern) auf eine vorher ausgesuchte Palette begrenzt. Die Beschränkung auf ungefähr ein halbes Dutzend oft leuchtende Farben erlaubt es ihr, die ganze Skala von Atmosphäre und Ton mit einem wirklich experimentellen Schwung zu durchlaufen. Hier werden Verweise auf Cézannes Bäume, japanisches Grafik Design und das 60erJahre-Treppenhaus von Goes‘ Westberliner Atelier zu Bausteinen, die mit einer spürbaren Freude an den endlosen Möglichkeiten der Form zusammengebracht werden. Diese Bilder nehmen all dies wahr, von der Erfahrung der realen Welt zum formalen Labor des Ateliers: zugleich.

Übersetzung aus dem Englischen: Wilhelm Werthern