Franziska Goes und Achim Kobe – Things We Have In Common
Ich nehme allein in einem Café Platz; man eilt zu meiner Begrüßung herbei;
ich fühle mich von Menschen umgeben, nach meinen Wünschen befragt, umworben.
Der Andere aber ist abwesend; ich beschwöre ihn mir selbst herauf,
damit er mich von jener Willfährigkeit der Welt gegenüber bewahrt, die mir auflauert.
— Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe, 1988.
Tief im Inneren müssen Künstler ihre eigene Arbeit lieben, selbst wenn diese Beziehung schwierig und voller irrationaler Verpflichtungen und Handlungen sein mag. Oft kommen die Beziehungen, die Künstler mit ihren Vertrauten haben, die um Aufmerksamkeit konkurrieren müssen, erst an zweiter Stelle. Aber Familienmitglieder, Liebhaber und Freunde werden selten in der Rezeption eines künstlerischen Werkes während der Lebenszeit der Kunstschaffenden berücksichtigt, es sei denn, sie gehören explizit zu den Sujets der Kunst. Anekdotische Berichte legen nahe, so scheint mir, dass diese beiden Beziehungen – die der Künstler zu ihrer Kunst und die zu ihren nächsten Mitmenschen – keineswegs immer im Einklang miteinander stehen.
Und dann gibt es den besonderen Umstand, wo die Vertrauten beide Künstler sind, was die Sache tatsächlich durchaus nicht einfacher macht. Dies ist bei der in Berlin lebenden Künstlerin Franziska Goes (geb. 1971 in Berlin) und Achim Kobe (geb. 1963 in Gießen) der Fall. Obgleich sie schon seit Jahrzehnten ein Paar sind, arbeiten sie nicht künstlerisch zusammen. Und bemerkenswerterweise ist die Zwei-Personen-Ausstellung „Things We Have In Common“ (2025) erst das zweite Mal, dass sie je zusammen ausstellen – das letzte Mal war eine gemeinsame Ausstellung in Schweden vor 20 Jahren!
Goes und Kobe haben lange Biografien mit Ausstellungen in Projekträumen, Galerien und Institutionen. Aber ich stelle mir vor, wie sie sich in den späten 1990er Jahren kennengelernt und ineinander verliebt haben, nachdem sie an der UdK Berlin studiert hatten (allerdings nicht gleichzeitig). Ich habe sie zu diesem persönlichen Thema nicht befragt, denn das wäre unangemessen, da das eigentliche Thema dieses Textes schließlich ihre Kunst ist. Aber in meinem Kopf sind sie in einer Filmkulisse zwischen den gentrifizierenden Baustellen dieses Jahrzehnts, unterwegs zu einer Vernissage in einem Off-Space oder einem der legendären Berliner Clubs.
Nicht zusammen auszustellen, muss für sie eine bewusste Entscheidung gewesen sein, wie auch die Entscheidung, jetzt dieses selbst auferlegte Tabu zu brechen. Vielleicht ist das angesichts des wenig schmeichelhaften Bildes, das die revisionistische Kunstgeschichte von manchen Kunstpaaren zeichnet, ganz verständlich. Oft gehört dazu der Skandal von einem oder einer, der/die dominiert (zum Beispiel radikal im Atelier, aber patriarchalisch am Frühstückstisch), und der/ diejenige, der/die überschattet und erst posthum wieder ausgegraben wird. Goes und Kobe gehören zu einer Generation, die von Anfang an versucht hat, ein anderes Arrangement zu finden – ein laufendes, unabgeschlossenes Projekt. Der Titel ihrer gemeinsamen Ausstellung legt Gleichberechtigung als ein erstrebenswertes Ziel nahe. Und – wie der Anfang einer jeden erfolgreichen Verhandlung – die Idee, die überlappenden Gebiete in ihrem persönlichen Venn- Diagramm zu identifizieren.
Goes und Kobe sind beide eher entschieden abstrakte statt figurative Maler, und deshalb wird ihre Beziehung normalerweise nicht in ihrer Kunst abgebildet. Um dies zu unterstreichen, haben sie auch getrennte Ateliers an unterschiedlichen Enden der Stadt. Beide sind noch nebenberuflich tätig, um die Dinge am Laufen zu halten – Goes ist Lehrende im künstlerischen Bereich und Kobe produziert Repliken „moderner Kunst“ für Film und Fernsehen. In ihrem künstlerischen Werk finden sich blasse Spuren davon. Man denke beispielsweise an Goes‘ einnehmenden schematischen formalen Schwung (mit seinen Anklängen an progressive Bauhaus- Lektionen) oder die Art, wie Kobe Ausstellungsräume wie Kulissen ausstaffiert.
Die Herangehensweisen von Goes und Kobe an die Abstraktion legen nahe, dass unsere Leben, wie die Kunst, aus faszinierenden Mustern komponiert sind und auf vielerlei Ebenen erlebt werden. Wenn ich von Beispielen ihrer Arbeiten umgeben bin, versucht mein Auge, einen Fleck zu finden, auf dem man innerhalb von Goes‘ lebhaften Patchwork- Kompositionen sein Zelt aufschlagen könnte. Dann gleitet es über die eleganten handgemachten minimalistischen visuellen Haine und gepflügten Bänder von Kobes verführerischen gemalten weiten Papierflächen. Obwohl das Werk der beiden sich intrinsisch unterscheidet, weiß ich, dass sie einander stets bewusst sind, während sie jeweils ihr eigenes Ding machen. Dies sind Künstler, die bestrebt sind, ihre eigenen inneren Welten freizulegen, die aber seit über zwei Jahrzehnten im Verborgenen in ein Gespräch vertieft sind. Für „Things We Have In Common“ haben sie den Ausstellungsraum ungefähr in der Mitte geteilt, ohne dabei dogmatisch zu sein. Frontal kommunizieren die beiden Hemisphären miteinander, aber wenn man sich in die eine oder andere Richtung umdreht, kann eine ganze Seite die andere ignorieren.
Kobes Abstraktion verschmilzt oft absichtlich mit der architektonischen Umgebung wie Treppenhäuser, Korridore, Schaufenster, oder einmal die Wände eines Bahnsteigs im U-Bahnhof Alexanderplatz. Ein Großteil seiner Arbeit beinhaltet die Produktion paralleler Linien oder Streifen und anderer Muster mit einer Reihe von feinen Pinseln. Die so entstandenen Rollen gemusterten Papiers werden zum Rohmaterial für an Wände angebrachte Arbeiten, von denen er manche ausschneidet und collagiert. In dieser Ausstellung enthalten die zwei In-situ-Arbeiten Caso #25 (3) und (4) (aus 2025) gemustertes Papier, das in Pfeile geschnitten wurde, die den ihr zugewiesenen Ort ausfüllen. Die verschlungenen Pfeile bilden potenziell pulsierende, rhythmische Felder. Bei seinen Zeichen ist jede Richtung richtig, aber man kann sich in den Einzelheiten der Produktion verlieren. Seine Arbeit setzt sich mit den inzwischen gealterten und patinierten Oberflächen der Moderne auseinander, und sie tut das das mit einer bewegenden Sensibilität. In seinen Räumen treten die Hintergründe der Umgebung in den Vordergrund.
Im Gegensatz dazu, und ganz eigenständig, funktioniert jede von Goes‘ abstrakten Arbeiten autonom von der externen Welt und auch voneinander, obwohl man sich das Werk der Künstlerin auch als einen größeren Fluss entlang von selbstbestimmten Parametern ad infinitum vorstellen kann. Daher sind ihre Kompositionen, einschließlich von I Can Hear the Bird Sing/Blue Line (2025) und Field of Dots/Orange Yellow White (2025) jeweils sowohl einmalig als auch typisch. I Can… enthält eine an einen fließenden Strom oder Wasserfall erinnernde Passage, die man abwechselnd als Aufsicht oder vertikale Komposition lesen kann. Hier und da trudeln zusammenlaufende Linien über wehmütige geometrische Felder unterschiedlicher Texturen und Konsistenz. Gemäß ihrer Methode, gibt es eine begrenzte Palette aus Zwischentönen, in diesem Fall von Blautönen bis hin zu Grün- und Lilatönen und schmutzigem Rosa bis zu Braun, die aneinander abprallen. Im Vergleich dazu wirkt das erdtönige Field of Dots… daneben luftiger, als würde es ein Territorium abgrenzen, das eine Konstellation erkennbarer Formen enthält.
Kunsthistorisch Gesinnte denken bei Goes‘ Arbeit möglicherweise an die eklektische Geschichte westlicher Abstraktion von ihren Anfängen im Suprematismus bis hin zu Memphis- Architektur und -Design, wie auch an die Neo-Geo-Bewegung, beide aus den 1980er Jahren. Auch Echos aus den angewandten Künsten sind erkennbar, von den Mustern moderner Keramiken und Textilien bis hin zu Plänen für Stadträume und öffentliche Verkehrsnetze. (Letzteres eine Überschneidung mit Kobe.) Allerdings bevorzugt Goes eine intuitive, aufgeschlossene statt einer referentiellen Herangehensweise. Abstrakte Malerei in ihrem Stil zu schaffen bedeutet, an einer spielerischen Kakophonie teilzunehmen. Und somit geht es wie bei Kobe darum, sich mit der gleichermaßen zusammengepuzzelten heutigen Welt, wie wir sie vorfinden, auseinanderzusetzen und auf sie zu reagieren.
„Things We Have In Common“ geht das Risiko ein, den Geist der privaten Kommunikation der Künstler auszustellen. Sie stellen nicht nur aus, sie stellen bloß. Nach vielen Jahren, in denen sie parallel ihre jeweilige künstlerische Praxis verfolgt haben, haben sie sich hier für Vergleiche und Schwingungen geöffnet. Das macht ihre Arbeit auf eine relationale, postmoderne Art komplementär. Zusammen gehängt, erzeugt ihre Malerei einen überraschenden visuellen Effekt und beschwört eine Art von paradox vereinigter, komprimierter maximalistischer Fülle, oder eine Feier von Unterschieden auf engem Raum. Hier sind subjektive Gebiete auf Kollisionskurs. Ihre unerschrocken individuellen Arbeiten mit ihrer starken Ausstrahlung müssen in guter Gesellschaft bestehen können und gleichzeitig ein separates Gespräch mit ihren Betrachter*innen führen.
Dominic Eichler
Übersetzung: Wilhelm Werthern